Die Helfer der Vernunft
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Die Helfer der Vernunft

Scham und verwandte Emotionen bei Platon

Lijuan Lin

  1. 221 pages
  2. German
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Die Helfer der Vernunft

Scham und verwandte Emotionen bei Platon

Lijuan Lin

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Seit Dodds' Anwendung des Begriffs "Schamkultur" auf die griechische Kultur genießt das Thema Scham die besondere Aufmerksamkeit der GrĂ€zisten. Basierend auf einer detaillierten Analyse der relevanten Belegstellen im gesamten platonischen Corpus und einer kritischen Auseinandersetzung mit den vorherigen einschlĂ€gigen Forschungen, versucht die vorliegende Arbeit Platons Konzeption der Scham systematisch zu erlĂ€utern, und zwar thematisch unter den folgenden vier Perspektiven: dem sokratischen elenchos, der Wahrheitsliebe, dem MoralverstĂ€ndnis sowie der Moralerziehung im Staat. Die Studie zielt einerseits darauf ab, aufzuzeigen, dass Platons VerstĂ€ndnis von Scham nicht so unreif ist, wie man bislang dachte; andererseits möchte sie vor Augen fĂŒhren, dass Platon Scham nicht, wie traditionell angenommen, als nur negativ erachtet, sondern ihre positive Rolle in verschiedenen Gebieten durchaus anerkennt. Es wird gezeigt, dass Scham und die ihr verwandten Emotionen von Bedeutung sowohl fĂŒr den platonischen Sokrates als auch fĂŒr die platonische Philosophie im Ganzen sind, auch wenn der Begriff "Schamkultur" wohl keine zutreffende Bezeichnung fĂŒr seine Zeit darstellt.

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Informations

Éditeur
De Gruyter
Année
2022
ISBN
9783110759969

1 Scham und elenchos

Unter elenchos, ‚PrĂŒfung, Untersuchung, Widerlegung‘, versteht man die sokratische Methode der widerlegenden ÜberprĂŒfung von Thesen im GesprĂ€ch, die insbesondere in den frĂŒhen platonischen Dialogen vorkommt.1 In diesen Dialogen werden die Meinungen der GesprĂ€chspartner in Bezug auf ein bestimmtes Thema von Sokrates2 durch eine Reihe von Fragen geprĂŒft. Diese Themen kommen zumeist in der Struktur „Was ist X?“ zum Ausdruck, so z. B. „Was ist Besonnenheit?“ (Charmides), „Was ist Frömmigkeit?“ (Euthyphron), „Was ist Tapferkeit?“ (Laches), „Was ist das Schöne?“ (Hippias Major), „Was ist Tugend?“ (Menon), „Was ist Rhetorik?“ (Gorgias).3 Nachdem eine solche Frage von Sokrates gestellt wird, versucht sein GesprĂ€chspartner, meistens ein prima facie Sachkundiger auf dem betreffenden Gebiet, eine Antwort darauf zu geben. Dennoch erweist sich seine These durch den sokratischen elenchos als entweder falsch oder als nicht schlĂŒssig begrĂŒndet, da die Argumentation unter der Leitung von Sokrates schließlich dazu fĂŒhrt, dass der GesprĂ€chspartner in Widerspruch zu seiner Anfangsbehauptung gerĂ€t.4 Es lĂ€sst sich deshalb auch gut verstehen, warum der sokratische elenchos sich vor allem in den aporetischen Dialogen findet.
Anders als in den spĂ€teren Dialogen, in denen Sokrates mehrmals ganz deutlich von seiner Methode (ÎŒáœłÎžÎżÎŽÎżÏ‚) redet,5 lĂ€sst Platon seinen Sokrates in den frĂŒhen Werken im Grunde nie direkt ĂŒber die von ihm praktizierte Methode sprechen. Obwohl zur Schilderung der sokratischen PrĂŒfung verschiedene Wörter gebraucht werden, beispielsweise ጐρωτ៶Μ, áŒÏáœłÎ”ÎčÎœ (‚fragen‘), Î¶Î·Ï„Î”áż–Îœ, ጐρΔυΜ៶Μ, ÎŽÎčΔρΔυΜ៶Μ (‚untersuchen‘), ጐΟΔτᜱζΔÎčÎœ (‚prĂŒfen‘), σÎșÎżÏ€Î”áż–Îœ, ÎŽÎčασÎșÎżÏ€Î”áż–Îœ, σÎșáœłÏ€Ï„Î”ÏƒÎžÎ±Îč, ÎŽÎčασÎșáœłÏ€Ï„Î”ÏƒÎžÎ±Îč (‚betrachten, untersuchen‘), áŒÎ»áœłÎłÏ‡Î”ÎčÎœ (‚prĂŒfen, widerlegen‘) usw., taucht eine allgemeine Benennung fĂŒr seine Methode jedoch nicht auf. Erst in der modernen Platonforschung wird die sokratische Methode in den frĂŒhen platonischen Dialogen als elenchos bezeichnet.6 Dennoch ist diese nachtrĂ€gliche Benennung insofern zutreffend, als man mit elenchos die durch Frage und Widerlegung erfolgende sokratische PrĂŒfung angemessen bezeichnen kann. Bemerkenswerterweise kommt der sokratische elenchos auch in manchen mittleren und spĂ€ten Dialogen vor, z. B. die PrĂŒfung dreier GesprĂ€chspartner in Bezug auf die Frage „Was ist Gerechtigkeit?“ im Buch I der Politeia,7 die PrĂŒfung von Agathon in Bezug auf „Was ist Liebe?“ im Symposion, die PrĂŒfung von Theaitetos in Bezug auf „Was ist Erkenntnis?“ im Theaitetos usw.8 An einigen weiteren Stellen wird der elenchos ebenfalls diskutiert.9
In den Dialogen scheint es nicht selten der Fall zu sein, dass die GesprĂ€chspartner durch den sokratischen elenchos ein SchamgefĂŒhl empfinden. In der Tat wird der sokratische elenchos eben wegen dieses Schamelementes heftig kritisiert. In einer der frĂŒhesten Forschungen zu diesem Thema, nĂ€mlich R. Robinsons Plato’s Earlier Dialectic, wurde das Schamelement des sokratischen elenchos schon als durchaus negativ bewertet. Nach Robinson sei die sokratische Methode in der Tat ungerecht und unaufrichtig, da Sokrates seine GesprĂ€chspartner nicht durch den logos, wie er selbst behauptet, sondern durch Betrug und Ironie widerlege. Dadurch erklĂ€rt sich, warum so viele GesprĂ€chspartner des Sokrates ein starkes und negatives SchamgefĂŒhl empfinden.10 Robinsons Ansicht wird, bewusst oder unbewusst, weiterhin in einigen spĂ€teren Forschungen akzeptiert: z. B. vertritt D. Pekarsky in seinem 1994 erschienenen Aufsatz auch die Meinung, dass Sokrates auf Betrug angewiesen sei, um den gewĂŒnschten Erziehungszweck zu erreichen.11 Eine Ă€hnliche Ansicht finden wir auch bei G. A. Scott, nach der die sokratische Erziehungsstrategie im Wesentlichen destruktiv sei: „We have seen that to bring someone to admit ignorance often requires a powerful chastening under Socrates’ stewardship, and examples of such verbal assaults, in which the philosopher derives someone to the brink of shame or humiliation, can be found throughout the dialogues.“12 In der jĂŒngsten Monographie Socratic Moral Psychology vertreten Th. C. Brickhouse und N. D. Smith ebenfalls die Meinung, dass der sokratische elenchos eine Art DemĂŒtigung darstellt, also „involving shaming others“ oder „subjecting them to a kind of corrective punishment“.13 In diesem Kapitel ziele ich darauf ab, den sokratischen elenchos in dieser Hinsicht zu rehabilitieren und zu zeigen, dass es keineswegs die Absicht des Sokrates ist, durch Betrug und Ironie seine GesprĂ€chspartner zu widerlegen; die Existenz der verschiedenen Arten von Scham bei Platon deutet eher darauf hin, dass die Beziehung zwischen Scham und elenchos viel komplizierter als vorher gedacht ist.
Dieses Kapitel gliedert sich in fĂŒnf Teile. Der erste Teil konzentriert sich auf die Standardinterpretation von Robinson, nach der der ungerechte Charakter des sokratischen elenchos ein negatives SchamgefĂŒhl bei den meisten GesprĂ€chspartnern hervorbringt, das im Grunde genommen nicht dabei hilft, dass diese sich verbessern (1.1). Aufgrund dieses VerstĂ€ndnisses scheint Sokrates den Sophisten Ă€hnlich zu sein, die sich des elenchos als eines wichtigen Mittels bedienen, um die Gegner zu beschĂ€men und somit die Rede-Agone zu gewinnen (1.2). Im Gegensatz zu dieser Interpretation versuche ich, den sokratischen elenchos zu rechtfertigen, indem ich zeige, dass sich die sokratische Methode nicht nur von dem sophistischen elenchos unterscheidet, sondern geradezu als Gegensatz zum Letzteren zu betrachten ist (1.3). Das bedeutet jedoch nicht, dass Scham ĂŒberhaupt keine Rolle in dem sokratischen elenchos spielt. Anstatt auf einer Art unfruchtbarer und negativer Scham beruht der sokratische elenchos eher auf einer nach innen gerichteten, positiven Scham, die uns bei der Wahrheitssuche und der tugendhaften Lebensweise helfen kann (1.4). FĂŒr die bei manchen GesprĂ€chspartnern in den platonischen Dialogen auftretende negative Scham sollte Sokrates in den meisten FĂ€llen nicht verantwortlich sein. Es wird sich im Folgenden herausstellen, dass die Ursache der negativen Erfahrung auf die GesprĂ€chspartner selbst zurĂŒckzufĂŒhren ist, denn ihnen fehlen wichtige dialektische Tugenden (1.5).

1.1 Zur Kritik an der Scham im sokratischen elenchos

Als ein Verfahren wird der sokratische elenchos manchmal stark angezweifelt und kritisiert. Robinson hat in seinem Werk Plato’s Earlier Dialectic – zweifellos eines der klassischen Werke auf dem Gebiet der Platonforschung – den destruktiven und negativen Aspekt des elenchos betont. Nach Robinson ist der sokratische elenchos im Wesentlichen sehr unaufrichtig („insincere“): Sokrates behauptet meistens, dass er ĂŒber das diskutierte Thema nichts wisse; er meint auch, dass es in der Diskussion nur um die Sache, aber nicht die Person gehen solle (z. B. Grg. 457e); manchmal betont er sogar, der logos, nicht aber Sokrates, sei der Widerleger (Euthphr. 11d). Die Leugnung des eigenen Wissens und des persönlichen Aspekts der Widerlegung ist nach Robinson ganz unaufrichtig und betrĂŒgerisch, denn in der Tat ist sofort ersichtlich, dass Sokrates nicht nur ĂŒber mehr Wissen verfĂŒgt als seine GesprĂ€chspartner, sondern auch bereits von Anfang des GesprĂ€chs an darauf abzielt, seine GesprĂ€chspartner zu widerlegen:
This denial that he is conducting an elenchus is insincere, and constitutes what is known as the Socratic slyness or irony. The arguments could not be so workmanlike and purposeful, the results could not be so invariably negative, by divine inspiration or by mathematical probability. When we examine one of the arguments in detail, and see just what its logical structure is, we become convinced that from the very first of the secondary questions Socrates saw and intended the refutation of the primary answer [
] The statements that he is „seeing whether the answer is true“ are insincere.14
Nach Robinson ist es eben diese Unaufrichtigkeit bzw. „die sokratische Ironie“, die den GesprĂ€chspartnern Schande gebracht und Ärger hervorgerufen hat; dieser Ärger habe dann Sokrates vor Gericht gebracht und schließlich seinen Tod verursacht:
The picture which we have so far obtained of the Socratic elenchus is by no means a favourable one. This elenchus involved persistent hypocrisy; it showed a negative and destructive spirit; it caused pain to its victims; it thereby made them enemies of Socrates; it thereby brought him to trial, according to his own admission in Plato’s Apology; and so it brought him to his death.15
Robinson hat sich vor allem auf die GesprĂ€chspartner, die Sokrates zĂŒrnen oder ihm gegenĂŒber Abneigung empfinden, bezogen: In der Politeia meint Thrasymachos, Sokrates solle nicht allein fragen, sondern auch antworten, da „fragen leichter als antworten“ sei (R. 336c) – diesbezĂŒglich erhebt er gegen Sokrates einen Vorwurf und bezeichnet seine Methode als „jene bekannte Verstellung des Sokrates“ (ጐÎșΔ᜷Μη áŒĄ Î”áŒ°Ï‰ÎžÏ…áż–Î± ΔጰρωΜΔ᜷α ÎŁÏ‰ÎșÏáœ±Ï„ÎżÏ…Ï‚, R. 337a). Menon stellt einen Vergleich zwischen Sokrates und dem Zitterrochen an, der jeden, der ihm nahekommt oder ihn berĂŒhrt, erstarren lĂ€sst (Men. 80a–b). DarĂŒber hinaus können wir auch andere Beispiele finden. Im Gorgias z. B. wird Sokrates von einem seiner GesprĂ€chspartner – nĂ€mlich Kallikles – vorgeworfen, dass er ungerechterweise Tricks (τ᜞ ÏƒÎżÏ†áœčÎœ) anwende und auf das Wort Jagd mache (Grg. 483a, 489b). Letztlich will Kallikles sogar ĂŒberhaupt nicht das GesprĂ€ch mit Sokrates weiterfĂŒhren (Grg. 497a ff.). In der Apologie gibt Sokrates selbst zu, dass er sic...

Table des matiĂšres

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Einleitung
  6. 1 Scham und elenchos
  7. 2 Scham und Liebe
  8. 3 Scham und Moral
  9. 4 Scham, Moralerziehung und Staat
  10. Epilog
  11. Namenregister
  12. Sachregister
  13. Stellenregister
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APA 6 Citation

Lin, L. (2022). Die Helfer der Vernunft (1st ed.). De Gruyter. Retrieved from https://www.perlego.com/book/3512304/die-helfer-der-vernunft-scham-und-verwandte-emotionen-bei-platon-pdf (Original work published 2022)

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Lin, Lijuan. (2022) 2022. Die Helfer Der Vernunft. 1st ed. De Gruyter. https://www.perlego.com/book/3512304/die-helfer-der-vernunft-scham-und-verwandte-emotionen-bei-platon-pdf.

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Lin, L. (2022) Die Helfer der Vernunft. 1st edn. De Gruyter. Available at: https://www.perlego.com/book/3512304/die-helfer-der-vernunft-scham-und-verwandte-emotionen-bei-platon-pdf (Accessed: 15 October 2022).

MLA 7 Citation

Lin, Lijuan. Die Helfer Der Vernunft. 1st ed. De Gruyter, 2022. Web. 15 Oct. 2022.