Geheimnisvolles Afrika
Die Geburt einer Legende
Leo Africanus reist von Marokko nach Timbuktu (um 1510)
Das Leben musste doch mehr zu bieten haben. Al-Hasan ibn Mohammed al-Wassan (um 1490- nach 1550), der unter dem Namen Leo Africanus weltberĂŒhmt werden sollte, hatte die Nase voll von seinem Job in der marokkanischen Stadt Fes. Tagein, tagaus saĂ der Notar ĂŒber staubige Akten gebeugt in engen RĂ€umen. Langsam fiel ihm die Decke auf den Kopf und er trĂ€umte von Reisen in fremde LĂ€nder.
Ein Jurist auf Reisen
Die erste Chance dazu bekam er, als er seinen Onkel in diplomatischer Mission auf einer Reise durch Marokko begleiten durfte. WĂ€hrend der folgenden Jahre war er dann auf eigene Faust unterwegs. Er reiste kreuz und quer durch Nordafrika, nach Mekka, Istanbul und Asien. Vor allem aber erreichte er im Jahr 1510 einen Ort, dem er mit seinen fesselnden Beschreibungen ein bleibendes Denkmal setzen sollte: Timbuktu.
Diese Stadt im heutigen Mali war damals eine wohlhabende Metropole mit schĂ€tzungsweise 15 000 bis 25 000 Einwohnern. Sie lag nicht nur sehr verkehrsgĂŒnstig am Niger-Fluss, hier kreuzten sich auch wichtige KarawanenstraĂen. Viele HĂ€ndler, die von Ăgypten nach Westafrika reisten, machten hier Station. Die groĂen Karawanen aus dem Norden waren voll beladen mit Seide und Schmuck, Waffen und Metall. Auch die verschiedensten anderen Handelswaren von Hirse bis zu Elfenbein wechselten in Timbuktu den Besitzer. Die Haupteinnahmequelle der Stadt aber war der Handel mit Salz â und mit Menschen. Hier lag der Hauptumschlagplatz fĂŒr Sklaven, die in Marokko und Ăgypten reiĂenden Absatz fanden.
El Dorado in Afrika
Gezahlt wurde in Timbuktu oft mit purem Gold â kein Wunder, dass die Stadt florierte. Sie entwickelte sich zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit, die UniversitĂ€t der SankorĂ©-Moschee genoss einen ausgezeichneten Ruf. Und auch sonst lieĂ es sich in Timbuktu gut leben. âDie Einwohner und vor allem die Fremden, die sich dort nieder gelassen haben, sind sehr reichâ, notierte Leo Africanus in seiner Beschreibung des Ortes. âUnd zwar so reich, dass der derzeitige König seine beiden Töchter mit wohlhabenden HĂ€ndlern verheiratet hat.â Dabei hatte der Herrscher selbst offenbar keineswegs am Hungertuch zu nagen. Leo Afrikanus berichtete von goldenen ReichtĂŒmern, einem prĂ€chtigen Palast und einem beeindruckenden Gefolge, das den hoch auf seinem Kamel thronenden König auf seinen Ausritten begleitete.
All diese EindrĂŒcke hielt Leo Africanus in seiner âBeschreibung Afrikasâ fest. Dieses eigentlich gar nicht zur Veröffentlichung gedachte Werk wurde zu einem internationalen Bestseller. Jahrhunderte lang war es fĂŒr geografisch interessierte EuropĂ€er eine der wenigen Informationsquellen ĂŒber die Regionen Afrikas, die der Marokkaner bereist hatte. Timbuktu wurde dank dieser Beschreibungen zu einem sagenumwobenen Ort, bald galt es als das El Dorado Afrikas.
Eine legendÀre Persönlichkeit
Im Laufe der Jahrhunderte meldeten etliche Kritiker Zweifel an Leo Africanusâ Reiseberichten an. Manche behaupteten sogar, der Mann habe nie existiert. Andere wollten zumindest nicht glauben, dass er tatsĂ€chlich in Timbuktu gewesen war. Denn in seinen Schriften finden sich durchaus einige Ungereimtheiten. Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass der italienische Herausgeber der âBeschreibung Afrikasâ etliches falsch ĂŒbersetzt oder dazu erfunden hat. Die meisten Experten halten Leo Africanus heute fĂŒr eine reale historische Persönlichkeit, deren Leben nach Jahrhunderten der Legendenbildung allerdings nicht mehr leicht zu rekonstruieren ist..
Magnet fĂŒr Forschungsreisende
Sagenhaftes Timbuktu
âTimbuktuâ â mit diesem Wort verbanden viele EuropĂ€er des 19. Jahrhunderts die romantischsten Vorstellungen. Die faszinierende Oasenstadt in Mali schien allerlei exotische Geheimnisse zu bergen. Man hatte von einem blĂŒhenden Handelsleben und einer der berĂŒhmtesten UniversitĂ€ten der islamischen Welt gehört. Allerdings konnte niemand so genau sagen, welcher Teil der GerĂŒchte und ErzĂ€hlungen tatsĂ€chlich der RealitĂ€t entsprach. Man musste sich auf die detaillierten Beschreibungen der arabischen Reisenden Ibn Battuta (1304-1368 oder 1377) und Leo Africanus (um 1490- nach 1550) verlassen. Die aber waren Jahrhunderte alt. Und ĂŒberprĂŒft hatte sie niemand. Denn seit Menschengedenken hatte kein EuropĂ€er Timbuktu betreten.
Eine geografische Herausforderung
Die Neugier wuchs ins Unermessliche und so schrieb die Gesellschaft fĂŒr Geografie in Paris im Jahr 1824 einen Preis fĂŒr denjenigen aus, der die WĂŒstenstadt erreichen, lebend wieder zurĂŒck kommen und Informationen ĂŒber Wirtschaft und Bewohner mitbringen wĂŒrde. Einer der wagemutigen Reisenden, die diesem Aufruf folgten, war der Franzose RenĂ© CailliĂ© (1799â1838). 1827 machte er sich in Begleitung von vier LasttrĂ€gern und einem afrikanischen FĂŒhrer vom heutigen Sierra Leone in Westafrika aus auf den Weg. Im GepĂ€ck hatte er nicht nur zwei Kompasse, Medikamente und Tauschwaren. Auch SeidentaschentĂŒcher und einen Regenschirm hielt der Forschungsreisende in der Wildnis fĂŒr unabdingbar.
CailliĂ© fĂŒrchtete, dass ihm seine wahre IdentitĂ€t in muslimischen Regionen nur hinderlich sein wĂŒrde und gab sich daher als aus Ăgypten stammender Moslem aus. Immer weiter kĂ€mpfte er sich durch die heutigen Staaten Sierra Leone und Guinea. Doch wunde FĂŒĂe, Skorbut und verschiedene andere Leiden machten es ihm irgendwann unmöglich, weiter zu reisen. Ein halbes Jahr lang lieĂ er sich im Norden der heutigen ElfenbeinkĂŒste von einer einheimischen Frau pflegen, bevor er sich einer Karawane nach DjennĂ© in Mali anschloss.
Nur noch etwa 300 Kilometer trennten ihn vom legendĂ€ren Timbuktu. Und fĂŒr diese Strecke fand er eine sehr viel bequemere Reisemöglichkeit: Er bestieg ein Boot, das ihn auf dem Fluss Niger zu seinem Ziel bringen wĂŒrde. Doch als er am 20. April 1828 endlich dort ankam, war er bitter enttĂ€uscht. Timbuktu entsprach in nichts seinen romantischen Vorstellungen. Mehrfach war die Stadt in der Vergangenheit erobert worden, vielerorts bot sich ein Bild der Zerstörung und des Verfalls. Keine Spur mehr von dem prĂ€chtigen Palast, den Leo Africanus beschrieben hatte. Auch der Handel florierte lĂ€ngst nicht mehr so wie in vergangenen Zeiten. Und fĂŒr Fremde gab es durchaus Anlass, um ihren Besitz, wenn nicht sogar um Leib und Leben zu fĂŒrchten.
Nicht einmal zwei Wochen verbrachte CailliĂ© in der einstigen Stadt seiner TrĂ€ume und fĂŒllte sein Tagebuch mit Notizen. Dann beschloss er, sich auf den Heimweg zu machen. FĂŒr seine RĂŒckkehr wĂ€hlte er eine nicht weniger anstrengende Route: Quer durch die Sahara ging es bis an die marokkanische KĂŒste und dann per Schiff nach Frankreich zurĂŒck.
Er bekam die versprochene Belohnung der Gesellschaft fĂŒr Geografie und einen Sonderzuschlag des Marineministeriums. Von den ebenfalls an der legendĂ€ren Stadt interessierten Briten wurde ihm allerdings immer wieder unterstellt, dass er in Wirklichkeit nie in Timbuktu gewesen sei.
Reise ohne Wiederkehr
RenĂ© CailliĂ© war nicht der erste EuropĂ€er, der Timbuktu erreichte. Schon der Brite Alexander Gordon Laing war im August 1826 dort gewesen. Doch er wurde auf dem RĂŒckweg erschlagen, seine Reisenotizen verschwanden.
Blick ĂŒber die DĂ€cher Timbuktus mit seiner typischen Lehmarchitektur. Stich nach einer Skizze von RenĂ© CailliĂ©, um 1825.
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Deutsche in der WĂŒste
Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal erkunden die Sahara (1865â1867)
Hitze und Trockenheit, Steine, Geröll und Sand â und das ĂŒber unendliche Kilometer. Als gröĂte WĂŒste der Welt erreicht die Sahara mit neun Millionen Quadratkilometern die Ausdehnung der USA. FĂŒr die EuropĂ€er des 19. Jahrhunderts barg diese lebensfeindliche Landschaft noch zahllose Geheimnisse. Doch wer diese ergrĂŒnden wollte, brauchte eine gute Portion Abenteuergeist.
Der alte Traum Timbuktu
Daran hatte es Gerhard Rohlfs (1831â1896) aus Vegesack bei Bremen noch nie gefehlt. Schon als SchĂŒler war er von zu Hause ausgerissen, um sich in Rotterdam als Schiffsjunge zu verdingen. Zwar hatte ihn seine Familie damals zurĂŒckgeholt, doch er war umtriebig geblieben. Ein abgebrochenes Medizinstudium, eine Zeit beim österreichischen MilitĂ€r und in der französischen Fremdenlegion und eine Stelle als Leibarzt des Sultans von Marokko hatte er schon hinter sich. Er war auf waghalsigen Touren in Marokko unterwegs gewesen und hatte wie viele seiner Zeitgenossen von der legendĂ€ren Oasenstadt Timbuktu in Mali getrĂ€umt. Im Mai 1864 brach er auf, um diesen Traum wahr zu machen. Er erreichte das Atlas-Gebirge, hinter dem sich seine gröĂte Herausforderung erstreckte: Die Sahara.
Rohlfs und seine Begleiter hatten Kamele dabei, die mit Wasser und VorrÀten beladen waren. Doch als die brennende Sonne ihre Kehlen ausdörrte, war der Durst allgegenwÀrtig. Die MÀnner trotzten den Strapazen und erreichten die Oasen von Tafilet, Touat und Tidikelt. In der Oasenstadt In Salah aber wurde Rohlfs als französischer Spion verdÀchtigt und musste seine weiteren Sahara-PlÀne zunÀchst aufgeben. Er reiste durch Libyen bis nach Tripolis am Mittelmeer, schob eine kurze Deutschlandreise ein und startete dann einen zweiten Versuch. Wieder zog es ihn von Tripolis Richtung Sahara.
Quer durch die Sahara
Als er nach etwa 550 Kilometern in sĂŒdwestlicher Richtung die Oasenstadt Ghadames erreichte, gab es Konflikte mit den in der Region lebenden Tuareg. Rohlfs musste seine ReiseplĂ€ne wieder einmal Ă€ndern, ĂŒber die Kauar-Oasen ging es weiter nach Kuka. Das war damals die Hauptstadt des Bornu-Reiches, das sich ĂŒber die heutigen Staaten Nigeria, Niger und Tschad erstreckte. Rohlfs gewann das Wohlwollen des Sultans von Bornu, der ihn auf der Weiterreise unterstĂŒtzte. Die nĂ€chste Station des Deutschen war der Tschad-See am SĂŒdrand der Sahara, dann fuhr er auf dem Fluss Benue bis zu dessen MĂŒndung in den Niger. Wieder auf dem Landweg passierte Rohlfs anschlieĂend die StĂ€dte Ilorin und Ibadan im heutigen Nigeria und erreichte schlieĂlich die Hafenstadt Lagos an der AtlantikkĂŒste. Seine gewaltige Reise vom Mittelmeer bis nach Westafrika, die von 1865 bis 1867 gedauert hatte, sollte in die Geschichte eingehen. Zum ersten Mal hatte ein EuropĂ€er die Sahara durchquert.
Eine Ladung Geschenke
1868 trafen in Tripolis zwei MĂ€nner zusammen, die sich als deutsche Afrikaforscher einen Namen machten. Gerhard Rohlfs hatte gerade seine groĂe Reise quer durch die Sahara abgeschlossen, Gustav Nachtigal (1834â1885) arbeitete noch als Arzt in Tunis. Rohlfs gab seinem Landsmann den Auftrag, im Namen der preuĂischen Regierung Geschenke an den Sultan von Bornu zu ĂŒberbringen. Mit einer Karawane machte sich Nachtigal am 17. Februar 1869 auf den Weg. Auch er durchquerte die Sahara und erkundete das Tibesti-Gebirge im heutigen Tschad. Dieses höchste Gebirge der Sahara hatte damals noch kein EuropĂ€er zu Gesicht bekommen. Die ortsansĂ€ssigen Tubu aber hielten wenig von hellhĂ€utigen Eindringlingen in ihrem Land. Nachtigal...