Als Neuer Hypereides wird ein griechischer Text von insges. 320 Zeilen mit Teilen der Reden Gegen Diondas und Gegen Timandros des berĂŒhmten athenischen Rhetors bezeichnet. Die Entzifferung der unteren Schriftschicht der im 13. Jh. ĂŒberschriebenen Handschrift ist eine bedeutende Leistung der Klassischen Philologie des 21. Jhs. Neben kritischer Edition und Ăbersetzungen liefert der Band vor allem umfassende ErlĂ€uterungen zum Originaltext.
1.1 Der Diondas-Prozess und die Vorgeschichte der Rede
Die Rede gegen Diondas ist wahrscheinlich die Antwort auf die Klage ÎłÏαÏᜎ ÏαÏαΜáœčÎŒÏÎœ, die Diondas gegen den Vorschlag des Hypereides zur BekrĂ€nzung des Demosthenes eingereicht hat.9 Der Typ der Klage wird durch zwei Testimonien bestĂ€tigt, beide in Pseudo-Plutarchs Werk Leben der zehn Redner erhalten:
Er [d. h. Demosthenes] wurde fĂŒr seine Verdienste mehrmals mit dem goldenen Kranz belohnt, zuerst auf den Vorschlag des Demomeles, des Aristonikos und des Hypereides, schlieĂlich auf den des Ktesiphon; Diodotos [wahrscheinlich statt Diondas] und Aischines haben gegen den letzteren wohl einen Einspruch bezĂŒglich der Gesetzwidrigkeit des Vorschlags erhoben, Demosthenes hat aber mit seiner Verteidigungsrede den Prozess mit solchem Erfolg gewonnen, dass der Vertreter der Anklage nicht einmal ein FĂŒnftel der Stimmen bekommen hat.10
Ferner:
Er hat vorgeschlagen, Demosthenes auszuzeichnen. Diondas hat den Beschluss wegen Gesetzwidrigkeit angegriffen, Hypereides wurde aber freigesprochen.11
Um den Zeitpunkt des Vorschlags zu bestimmen, ist folgende Aussage des Hypereides entscheidend (Dion. 10. 144v 23ff.):
Und jetzt hat seine UnverschĂ€mtheit einen solchen Gipfel erreicht, dass er euch nicht die BeschlĂŒsse anwenden lĂ€sst, auf die sich die Volksversammlung auf meinen Vorschlag einstimmig geeinigt hatte.12
Der Satz bezieht sich zweifellos auf den Kranz des Demosthenes, und hinter dem Ausdruck ÏÏοΔÎČÎżáœ»Î»Î”Ï Ïα (âauf meinen Vorschlagâ) steht der technische Begriff des
â d. h. der vom Rat der FĂŒnfhundert bewilligte Tagesordnungspunkt in der Volksversammlung.13 Anhand der indirekten Hinweise ist anzunehmen, dass Hypereides an der Schlacht bei Chaironeia (August 338 v. Chr.) nicht teilgenommen hat, weil er gerade ein Mitglied des Rats der FĂŒnfhundert war.14 Das Archonjahr in Athen hat Anfang Juli begonnen, in dieser Zeit haben die neu gewĂ€hlten Beamten, so auch die Ratsmitglieder, das Amt angetreten.15
Um die genaue Abfolge der Ereignisse nachvollziehen zu können, lohnt es sich, auch die weiteren VorschlĂ€ge und BeschlĂŒsse, die mit/zu Demosthenes assoziiert werden können, Revue passieren zu lassen. So können wir uns eine Vorstellung davon machen, was der Vorschlag des Hypereides enthalten haben mag, da Demosthenes die Ăhnlichkeiten von sĂ€mtlichen AnerkennungsbeschlĂŒssen im Inhalt und Wortlaut stets vor Augen fĂŒhrt.
Im Jahr 340 v. Chr. hat Aristonikos Demosthenes fĂŒr dessen diplomatische Erfolge gegen Philipp, vor allem fĂŒr die Befreiung von Byzantion und Euboia, bekrĂ€nzen lassen:16
Als ihr mich damals fĂŒr jene Verdienste mit einem Kranz ehrtet, wobei Aristonikos Silbe fĂŒr Silbe denselben Antrag einbrachte wie diesmal Ktesiphon hier und die BekrĂ€nzung im Theater verkĂŒndet wurde, da hat Aischines nicht widersprochen, obschon er anwesend war, noch hat er gegen den Antragsteller Klage erhoben. â Nimm bitte auch diesen BeschluĂ und lies ihn vor! [Das] DEKRET [wird verlesen.]17
Der Vorschlag (ÎłÏᜱÏαΜÏÎżÏ áŒÏÎčÏÏÎżÎœáœ·ÎșÎżÏ ) wurde also in einem Beschluss (Ï᜔ÏÎčÏΌα) festgehalten und im Theater bei der AuffĂŒhrung der neuen Tragödien im MĂ€rz/April 340 v. Chr. verkĂŒndet.
Demosthenes kehrt in einem spĂ€teren Abschnitt seiner Kranzrede zu den Anerkennungen zurĂŒck, die das Thema des Prozesses darstellen (d. h. dem Redner vor Ktesiphons Vorschlag zuteil geworden sind):
Zum Dank dafĂŒr wurde ich von diesen BĂŒrgern hier gebĂŒhrend mit einem Kranz geehrt, und du warst Zeuge und hast nicht protestiert. Diondas aber, der als KlĂ€ger auftrat, erhielt den Teil der Stimmen nicht. â Lies bitte nun diese BeschlĂŒsse vor, die bestĂ€tigt wurden und gegen welche dieser hier nicht einmal Einspruch erhoben hatte! [Die] BESCHLĂSSE [werden verlesen.] Diese BeschlĂŒsse, ihr BĂŒrger von Athen, lauten Silbe fĂŒr Silbe, Wort fĂŒr Wort gleich wie frĂŒher der Antrag des Aristonikos und jetzt der des Ktesiphon hier. Und Aischines hat dagegen weder selbst Klage gefĂŒhrt, noch hat er sich dem AnklĂ€ger angeschlossen. Und doch wĂ€re es passender gewesen, wenn anders seine jetzige Anklage gegen mich begrĂŒndet ist, damals Demomeles, welcher den Antrag einbrachte, und Hypereides vor Gericht zu ziehen als heute diesen hier.18
Die Form
(âihr wart im Begriff, mich zu bekrĂ€nzenâ) weist nach Wankel darauf hin, dass diese VorschlĂ€ge schlieĂlich zu keiner feierlichen VerkĂŒndigung gefĂŒhrt haben, da Demosthenes ansonsten kaum versĂ€umt hĂ€tte, diese zu erwĂ€hnen: âChaironeia hat wohl die AusfĂŒhrung des Ehrenantrags verhindert (wann er gestellt wurde, ist unsicher, jedenfalls nach den Erfolgen im Winter 339/8.)â.19
Ăberdies spricht Demosthenes von den BeschlĂŒssen im Plural (Ïᜰ ÏηÏ᜷ÏΌαÏα Ïᜰ áŒÏÎżÏΔÏÎ”Ï ÎłáœčÏα), und obwohl die Kommentatoren ausnahmslos Demomeles als Vorschlagenden und Hypereides als ErgĂ€nzer des Vorschlags ansehen, besteht kein zwingender Grund, einen gemeinsamen Beschluss und nicht zwei selbstĂ€ndige BeschlĂŒsse anzunehmen.20 (Auch die Demosthenes-Vita weist â ungeachtet der chronologischen UnregelmĂ€Ăigkeiten â nicht darauf hin, dass die drei Ehrenantragsteller, Demomeles, Aristonikos und Hypereides, auf irgendeine Weise verbunden werden sollten.) Diondas könnte Demomeles und Hypereides gleich nach der Schlacht angegriffen haben. Es ist aber bedenklich, vier VorschlĂ€ge zwischen den Jahren 340 und 337 v. Chr. zu postulieren. Die antimakedonischen Politiker sind natĂŒrlich nicht weniger entschlossen gewesen als die ParteigĂ€nger der Makedonen, und die verhĂ€ltnismĂ€Ăig hĂ€ufigen Versuche können auch mit dem Misserfolg der frĂŒheren VorschlĂ€ge erklĂ€rt werden. Es ist auch vorstellbar, dass Diondas die beiden Urheber der verbundenen AntrĂ€ge, Hypereides und Demomeles, einzeln angeklagt hat. Jedoch auch wenn die Vermutung der verschmolzenen oder ergĂ€nzten VorschlĂ€ge akzeptiert wird, muss die Reihenfolge des Auftritts der Politiker umgekehrt werden: Anhand der oben zitierten Aussage der Rede war es Hypereides, der im Rat den Vorschlag gemacht hat, und Demomeles, der den Vorschlag vor der Volksversammlung vertreten bzw. ergĂ€nzt hat.21
Aus diesen Bemerkungen können folgende SchlĂŒsse auf den Zeitpunkt und Inhalt des Vorschlags des Hypereides gezogen werden: Hypereides hat seinen Kranzvorschlag (neben Demomeles?) im Juli 338 v. Chr. eingereicht. Als BegrĂŒndung dĂŒrften die militĂ€rischen Erfolge des Jahres 339 v. Chr. bzw. das BĂŒndnis mit Theben vorgebracht worden sein. Der Text verwendete wohl das Formelgut der BeschlĂŒsse und mĂŒsste so auch den Ausdruck ᜠÏÎč ÎŽÎčαÏΔλΔῠenthalten haben.
Demosthenes hat also seine antimakedonische Politik immer im Interesse des Volkes betrieben. Die Volksversammlung hat dem Vorschlag zugestimmt, und die VerkĂŒndigung des Beschlusses wurde wahrscheinlich auf den FrĂŒhling 337 v. Chr., also den Zeitraum der AuffĂŒhrung der neuen Tragödien festgelegt.
Es ist möglich, dass Diondas gleich nach Annahme des Beschlusses Einspruch erhoben hat. Der casus litigandi, der rechtliche Vorwand ist uns nicht bekannt, aber Diondas â gleich Aischines â hat höchstwahrscheinlich behauptet, dass Hypereides lĂŒge, was von den Gesetzen im Allgemeinen verboten sei. Es liegt nahe (ist aber nicht sicher zu beweisen), dass der AnklĂ€ger zwei Monate nach dem Beschluss wegen der Niederlage bei Chaironeia (im August 338 v. Chr.) Mut gefasst und innerhalb eines Jahres, also noch vor dem Verfall der persönlichen Verantwortung des Antragenden Hypereides, diesen in der Hoffnung auf vollkommenen Erfolg angegriffen hat. Das alles mag im FrĂŒhherbst 338 v. Chr. passiert sein, wahrscheinlich in der Zeit, als die Gegner der antimakedonischen Politiker mehrere Prozesse begannen und versuchten, Demosthenes auch des Anrechts zu berauben, die Grabrede fĂŒr die bei Chaironeia gefallenen Soldaten halten zu dĂŒrfen. Die festliche VerkĂŒndigung wurde hinausgeschoben, bis ein Urteil gefĂ€llt wĂŒrde.22
Die obige Hypothese â d.h. Vorschlag und Beschluss sind vor der Schlacht, gesetzlicher Einspruch und Anklageschrift nach der Schlacht entstanden âscheinen auch die im Folgenden zu zitierenden Textstellen zu bekrĂ€ftigen:
Diondas jedoch verlangt, das Umgekehrte solle geschehen: nicht Demosthenes fĂŒr seine politischen Prinzipien zu preisen, doch von mir Rechenschaft fĂŒr das Schicksal zu fordern. Und doch, als jemand vor der Zerstörung der Vertragsstele der Thebaner mit Philipp ankĂŒndigte, er werde die Thebaner dazu ĂŒberreden, gegen Phili...
Table des matiĂšres
TEXTE UND KOMMENTARE
Titel
Impressum
Vorwort â zum Stand der Forschung
Inhaltsverzeichnis
1 Der Prozess gegen Diondas
2 Hypereidesâ Rede gegen Diondas
3 Einzelstudien
Literaturverzeichnis
Register
Abbildungen
Normes de citation pour Der "Neue Hypereides"
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HorvĂĄth, L. (2014). Der âNeue Hypereidesâ ([edition unavailable]). De Gruyter. Retrieved from https://www.perlego.com/book/608087/der-neue-hypereides-pdf (Original work published 2014)
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HorvĂĄth, LĂĄszlĂł. (2014) 2014. Der âNeue Hypereides.â [Edition unavailable]. De Gruyter. https://www.perlego.com/book/608087/der-neue-hypereides-pdf.
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HorvĂĄth, L. (2014) Der âNeue Hypereidesâ. [edition unavailable]. De Gruyter. Available at: https://www.perlego.com/book/608087/der-neue-hypereides-pdf (Accessed: 14 October 2022).
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HorvĂĄth, LĂĄszlĂł. Der âNeue Hypereides.â [edition unavailable]. De Gruyter, 2014. Web. 14 Oct. 2022.